Unsere Fahrt auf dem Amazonas
Von Belem aus starten wir zunächst wieder in Richtung Atlantik, um nördlich von Marajo in die Amazonasmündung hineinzufahren. Marajo ist die größte Flussinsel der Erde. Sie ist größer als die Schweiz. Eine Besonderheit ist ihre berittene Polizei Sie kommt nicht mit Pferden daher, sondern mit Bullen. Wie es dazu kam? Vor knapp einem Jahrhundert ist am Strand von Marajo ein Viehtransporter beladen mit Bullen aus Südostasien gestrandet. Einige der Tiere haben sich an Land retten können und dort vermehrt. „Ja, sie sind langsamer als Pferde, haben aber viele andere Vorteile,“ erzählt uns Jose. Er war einige Zeit auf der Insel eingesetzt. „Sie sind weniger agressiv, lassen sich einfacher anleiten, sind folgsamer und ausdauernder und verweigern nicht vor tieferen Gewässern wie Pferde.“ Die Bullen kommen, auf Marajo stimmt das.
Und dann gleiten wir flußaufwärts auf dem Amazonas. Die Flussoberfläche ist ruhiger als das Meer, wir scheinen durch die Landschaft zu schweben. Die bewaldeten Ufer kommen bis auf 20 m an uns heran und weichen wieder zurück, kilometerweit manchmal. Das ist kein Regenwald. Der beginnt erst hinter Manaus, 1000 km westlich von hier. Der Amazonas hat sich sein Bett so gestaltet, wie er es für den Transport der enormen Wassermassen benötigt und nimmt dabei viele Sedimente mit. Deshalb sieht das Wasser gelb aus, hellgelb-ockerfarben, wenn die Sonne darauf scheint, dunkel-graubraun im Schatten. Trüb ist es immer
Ab und zu sehen wir Bewohner kleiner Siedlungen oder einzeln gelegener Häuser mit ihren einfachen Kanus auf uns zurudern, nur, um uns zuzuwinken. Solche großen weißen Kreuzfahrtschiffe kommen selten vorbei. Das ist dann schon eine Sensation. Und vielleicht fällt ja auch noch etwas Brauchbares herunter. Es sind nicht viele Schiffe unterwegs; ein paar Lastkähne und ein militärisches Patroullienboot zeigen sich und nur wenige der für den Amazonas typischen Holzschiffe. „Dieses Gebiet ist zu dünn besiedelt. Wenn wir uns Manaus nähern , ändert sich das“, erzählen uns Passagiere, die schon einmal dort waren.
Amazonien
Stellen Sie sich vor, Sie liegen unter Bäumen am Strand und der Sand ist weiß und fein, das Wasser klar und grün, es ist 28 Grad warm. Und dann stehen Sie auf und gehen zur Abkühlung hinein und das Wasser ist süß.
Spätestens jetzt merken Sie, dass Sie gar nicht am Meer sind, sondern an einem Nebenfluß des Amazonas. In unserem Fall ist das eine kleinen Insel im Tapajos, einem Nebenfluss des Amazonas. Zusammen mit dem ist er hier so breit, dass am Horizont gerade noch ein schmaler Streifen Wald auszumachen ist.
Auf der Fahrt auf dem Amazonas wurde an dieser Stelle ein Stopp eingelegt. Wir haben sowohl Gelegenheit für ein Bad als auch dazu, ein wenig das Leben der Menschen kennen zu lernen, die wir vorher ja nur von Weitem gesehen haben. Es sind die Indianer, die hier in ihrem angestammten Gebiet in kleinen Siedlungen traditionell vom Wasser, am Wasser, auf dem Wasser und mit dem Wasser leben, schätzungsweise 300.000 sind es heute wieder. Ihr Lebensraum ist der Amazonas mit seinem Einzugsgebiet. Verglichen mit Europa reicht es von Portugal bis zum Ural. 1000 Nebenflüsse speisen ihn, offiziell, denn alles, was schmaler ist als 50 m, wird erst gar nicht registriert.
Die Jahreszeiten sind nicht wie bei uns Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern Trockenzeit und Regenzeit. Von Juli bis November scheint nur die Sonne. Danach beginnt es zu regnen, nicht ständig, aber wenn dann sehr heftig. Der Wasser steigt um 6 - 8 m, teilweise sogar bis zu 15 m. An den Uferbäumen kann man den Pegelstand ablesen.
Das wissen die Indianer und haben für den Bau ihrer Unterkünfte zwei Strategien entwickelt. Sie errichten ihre Bauten entweder als Pfahlbauten auf Stelzen. Wenn die Flut doch einmel höher steigt, stockt man einfach auf. Ein halbes Jahr später zieht man dann wieder nach unten. Oder man legt ein schwimmendes Fundament aus Baum-stämmen. Die halten 30 - 40 Jahre. Darauf wird das Haus errichtet. Das schwimmende Toilettenhäuschen, die schwimmende Hundehütte und die schwimmende Terasse folgen. Und wer etwas auf sich hält, funktioniert das altersschwache Kanu um in einen schwimmenden Kräutergarten. Möglichst direkt unter dem Küchenfenster, damit alles mit einem Griff erreichbar ist. Fensterscheiben sind unbekannt, denn wie überall in tropischen Gebieten gibt es nur zwei Temperaturen: heiß und sehr heiß, mit hoher Luftfeuchtigkeit.
Grundnahrungsmittel sind Fisch und Maniok. Im Amazonas leben etwa 1100 Fischarten, angefangen vom wohlschmeckenden Pyranha über den schönen, schwarz-weiß gemusterten Tigerwels bis hin zum größten, dem bis zu 150 kg schweren Tambaki.
Maniok gehört zum Essen wie in Asien der Reis oder bei uns die Kartoffel. Aber es ist ein aufwendiges Verfahren, bis es verzehrbereit auf dem Tisch steht. Jeder baut ein kleines Stückchen Land mit Maniokpflanzen an, manchmal kommen auch noch Mais und Zuckerrohr hinzu. Vieh ist selten zu sehen, ab und zu Hühner, manchmal Ziegen und wer eine Kuh sein eigen nennt, kann stolz sein und ist reich.
Fett und Vitamine liefert der Wald, Palmen und Paranussbäume zum Beispiel und viele Früchte. Einige davon kenne ich, wie Mangos, Limonen, Papayas, Bananen, aber auch Kaffee, Kakao, Kalebassen, Brotfrucht. Alle Fruchtsorten kann ich nicht aufzählen, ihre Namen sind mir zu fremd, aber sie bzw. ihr Saft schmecken sehr gut.
Enttäuscht sind wir, dass nur wenige Tiere zu sehen sind, kleinere Vögel zumeist. Aber wo sind die anderen, die winzigen Kolibris, die bunten Papageien oder die Tukane mit ihrem farbigen Riesenschnabel? Oder die Ameisenbären, Faultiere, Affen und Schlangen? „Ganz einfach“, erklärt uns Dr. Wagner bei einer Führung, „der Wald, ihr Rückzugsgebiet, ist schlicht zu groß. Sie sind scheu, ziehen sich schnell dorthin zurück und können sich ausgezeichnet tarnen. Viele leben auch in den Baumwipfeln in 40, 50 m Höhe. Auf diese Entfernung entdeckt man sie nicht mehr.“
Manaus
Die Hauptstadt der Provinz Amazonien ist der Endpunkt unserer Amazonasfahrt. Sie hat trotz ihrer fast 2 Mio Einwohner nur vereinzelt Hochhäuser. Das reicht nicht für eine beeindruckende Skyline. Aber wir verzichten gern auf diesen Anblick, den wir von anderen Großstätdten kennen. Wir erfreuen uns lieber an dem Blick auf die recreos und das bunte Leben und Treiben darum herum. Das ist ÖPNV auf amazonisch. Recreos sind die für den Amazonas typischen zweistöckingen, bauchig-ovalen Schiffe. Sie liegen wie Perlen aufgereiht an den schwimmenden Anlegern oder steuern gerade auf diese zu. Traditionell sind sie aus Holz gebaut und überwiegend weiß-hellblau, aber auch weiß-rot oder weiß-grün angestrichen. Sie übernehmen in diesem riesigen Gebiet ohne Straßen und Schienen den Transport von Menschen und Gütern. Allerdings ohne Sitzplätze. Dafür bringt jeder die eigene Hängematte mit für die bis zu 15-tägige Touren und erscheint gern ein bißchen früher, um den besten der nach Geschlechtern getrennten Plätze zu ergattern..
Das Wetter meint es auch sehr gut mit uns, es sind mollige 30 Grad und regnet nicht. Sogar das Wasser ist klar und schimmert uns im Sonnenlicht nicht mehr lehmfarben entgegen, sondern blau, fast wie der Atlantik. Aber das liegt daran, dass wir morgens um 6:00 Uhr, als ich noch schlief, den Amazonas verlassen haben. Die letzten 11 km bis Manaus sind wir auf dem Rio Negro gefahren. Sein Wasser ist relativ klar und humusig-braun. Man nennt es Schwarzwasser. Der Rio Negro ist einer der beiden Quellflüsse des Amazonas. Den Amazonas hatten wir bisher anders erlebt, gelb und trüb. Diese Farbe hat er von seinem anderen Quellfluss, dem aus den peruanischen Anden kommenden Solimoes, der viel gelösten Schlamm und Schwebstoffen mitbringt. Sein Wasser heißt Weißwasser.
Mit einem Ausflugsboot fahren wir zu der Stelle, an der der Amazanos brasilianisch-offiziell beginnt. Dort erleben wir ein einmaliges Naturereignis. Nur hier im Amazonasgebiet kann man beobachten, wie das Wasser zweier Ströme bis zu 15 km in einem Flußbett nebeneinander her fließt, ohne sich zu vermischen. Es ist das berühmte encontros das aguas und hat seine Ursache in der unterschiedlichen Temperatur, Zusammensetzung und Fließgeschwindigkeit der beiden Flüsse.
Das beeindruckendste Gebäude von Manaus ist das Teatro Amazonas, die elegante Oper. Eröffnet wurde sie 1896, quasi mitten im Urwald. Es war die Zeit des Kautschukbooms mit seinem unermesslichen Reichtum für die Plantagenbesitzer. (Noch heute wird erzählt, dass die Wäsche damals nach Lissabon geschickt wurde, hier in dem dreckigen Wasser könne sie ja nicht sauber werden.) Wie auch in Belem endete der Reichttum abrupt mit dem Ende des Kautschuk-Monopols. Das teatro wurde inzwischen renoviert und steht wieder im Mittelpunkt der Opernwelt Brasiliens.
Während unserer Besichtigung probte gerade das Orchester und wir wurden Zeugen einer kleinen Sensation: zu unserer Gruppe gehörten auch Annette Linke, Sopran, und Diane Blais, Mezzosopran. Sie treten gemeinsam als „LeDuo“auf und bieten Klassik und Komik-Vorstellungen an, u.a. auf der MS Deutschland. Spontan fragte Frau Linke den Dirigenten, ob sie auf dieser Bühne ein Stück vortragen dürften. Der Maestro war sofort einverstanden und so kam es, dass zum ersten Mal seit 20 Jahren deutsche Künstler im teatro amazonas auftraten. Wir hörten „Das Blumenduett“ aus der Oper Lahmé von Leo Delibeg, begleitet von Thomas Müller am Klavier. Welch eine Akustik! Welch ein Erlebnis!