So also sieht sie aus, die MS "DEUTSCHLAND"

So also sieht sie aus, die MS "DEUTSCHLAND"
Seht Ihr "unsere" Kabine? Ich habe sie markiert.

Sonntag, 14. März 2010

10.03.2010 4. Bericht Fahrt in die Karibik




Ile Royale

Neptun war wohl doch ein wenig verärgert, dass wir sein Reich für die Amazonasfahrt ein paar Tage verlassen haben. Vormittags zeigte er sich uns zwar noch, um die Zeremonie anläßlich der Äquatortaufe persönlich zu überwachen, nachmittags jedoch schickte er seine Winde in Stärke 7 - 8. Zusammen mit dem Strom (seemännisch für Meeresströmung) aus der „falschen“ Richtung brachte er sogar ein Schiff von der Größe der MS DEUTSCHLAND merklich zum Stampfen und trotz der Stabilisatoren auch zum Rollen. Viele der Passagiere merkten das und wurden seekrank, ich auch. Dr. Englisch, ehem. Chefarzt aus Brake und jetzt der „Doc“ an Bord, klärte mich auf: „Der Gleichgewichtssinn im Ohr und die Wahrnehmungen unserer Augen stimmen nicht mehr überein, unser Gehirn kann nicht mehr entscheiden, wem es trauen soll und gibt unserem Körper keine eindeutigen Verhaltensbefehle. So kommt es zu Übelkeit, Schweißausbrüchen, Unwohlsein. Man wird blass.“ Was hilft dagegen? Medikamente einnehmen, sich eine Spritze geben lassen oder einen anderen der vielen gutgemeinten Ratschläge befolgen. Ich beginne mit dem einfachsten Mittel und lege mich in meiner Kabine auf das Bett, fühle mich in der horizontalen Lage sofort merklich besser und schlafe ein mit dem tröstlichen Gedanken, dass auch ausgemachte Seebären von dieser Krankheit heimgesucht werden, wenn sie nach langer Fahrt an Land zurückkehren. Sie werden dann allerdings landkrank.



Nach 16 Stunden weckt mich das laute Rasseln der Ankerketten. Erholt und wieder fit, erkenne ich durch das Kabinenfenster vertraute Farben, die Tricolore. Wir sind wieder in Europa, politisch gesehen, genauer in Frankreich im Departement Guayana. Wir liegen vor der Inselgruppe Îles du Salut, drei kleinen Inseln 20 km vor der Küste, in Höhe der europäischen Weltraumstation Kourou. Diese Inseln sind bis heute berüchtigt. Bis 1951 dienten sie Frankreich als Strafgefangenenlager. Berühmt wurden sie durch zwei Gefangene, Alfred Dreyfus, dessen Schicksal Émile Zola in seinem Roman „J’accuse“ beschreibt, und Henri Charrière. Dessen autobiographischer Roman „Papillon“ wurde 1973 mit Steve McQueen und Dustin Hoffmann in den Hauptrollen verfilmt und zeigt sehr eindrucksvoll den erfolgreichen Fluchtversuch trotz strenger Bewacher, starker Meeresströmungen und gefräßiger Haie.

Mit Tenderbooten setzen wir über und betreten ein gepflegtes Freilandmuseum. Den Inseln ist ihre Vergangenheit beinahe nicht mehr anzumerken.Von den ehemaligen Gefängnisgebäuden sind nur noch die Außenmauern geblieben. Riesige Papayabäume spenden auf dem Hauptplatz erfrischenden Schatten. Durch das Unterholz zieht langsam eine große Familie kleiner Affen. Sie läßt sich auch nicht durch den Touristenrummel mit Kameraklicken, Blitzlichtern oder Zurufen stören. Ein Papageienpärchen und ein Pfau scheinen sich zu langweilen und einige Agutis, meerschweinähnliche Goldhasen, streifen langsam durch das Unterholz. Heute ein fast paradiesisches Eiland.



Zwei Tage auf See bringen uns zu den kleinen Antillen, zunächst nach Barbados, anschließend nach Tobago und Trinidad. Sie bezeichnen sich selbst als W.I., Westindien, also das Indien, das angeblich erreicht wird, wenn man nach Westen fährt. Mir fällt dazu ein, dass es doch seltsam ist, wie sich einige Bezeichnungen trotz besseren Wissens über mehrere Jahrhunderte und damit scheinbar für die Ewigkeit halten. Gibt es so etwas auch auf anderen Gebieten?

Am Tag vor der Ankunft auf Barbados hat sich die Farbe des Antlantiks geändert. Am Rio de la Plata war sie grau, im Südatlantik tiefblau, im Amazonas gelb-braun. Jetzt fahren wir durch klares, petrolfarbenes Wasser. Die Gischt leuchtet türkis und grünlich-weiß. Dieses wundervolle Farbenspiel erweitert sich, je näher wir der Küste kommen. Wassertiefe, Sonneneinstrahlung und die Schatten der Wolken zaubern sämtliche Grün- und Türkisfarben hervor. Wir sind in der Karibik angekommen, zusammen mit den weißen, palmenbestandenen Stränden und den Sonnenuntergängen ist das ihr „Markenzeichen“.






Besucher aus aller Welt werden davon angelockt. Der Tourismus hat sich mittlerweile zum größten Wirtschaftsfaktor entwickelt, nachdem seit der Kolonialzeit die Produktion landwirtschaftlicher Produkte dominierte. Bananenstauden, Mango-, Papaya- und Brotfruchtbäume sind immer noch überall zu sehen und auf den lokalen Märkten werden bunte Gemüse und duftende Gewürze in Hülle und Fülle angeboten. Und das Meer liefert den Fisch dazu. Der Star unter ihnen ist zweifellos der flying fish. Er kann bis zu 20 m hoch aus dem Wasser springen und ist etwa so groß wie unser Hering, genau so beliebt und wird ähnlich vielfätig zubereitet.



Bild5003 Flyin fish



Von den landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird nicht mehr angebaut als für die heimischen Nachfrage nötig. Das gilt sogar für „das“ Produkt überhaupt, das Zuckerrohr. Für den eigenen Zuckerbedarf und die Produktion von Rum ist es ausreichend verfügbar, aber mehr nicht. Gott sei Dank ist das noch immer so viel, dass nach der Ernte ausgiebig und aufwendig gefeiert werden kann. „I’m busy with crop-over“ (ich habe jetzt wirklich keine Zeit, ich bin mitten in den Vorbereitungen für das Erntefest) wird das ganze Jahr über als Entschuldigung für fast Alles verständnisvoll akzeptiert.



Schon bald nach der Ankunft bummeln wir durch Bridgetown, die Hauptstadt von Barbados bzw. Scarborough auf Tobago. Die Amtssprache ist Englisch. Aber das gilt wohl nur für die Schriftsprache. Gesprochen wird überwiegend kreolisch, mit englischen Elementen. Und das ist nicht Oxford-Englisch. Trotzdem gibt es keine Verständigungschwierigkeiten. Die freundliche Offenheit und Leichtigkeit im Umgang miteinander beseitigt schnell alle Mißverständnisse, besonders mit Fremden und Touristen. Wir bemerken, dass noch weitere „typisch britische“ Eigenschaften den Umzug aus dem kühlen und regnerischen Nordwest-Europa hier in die sonnige und bunte Karibik überstanden haben. Gelassenheit und Toleranz spüren wir beim Überqueren der Straßen, man hält an und winkt uns freundlich hinüber. Kinder tragen Schuluniform, Geschäftsleute sind trotz der Hitze korrekt mit Anzug und Krawatte gekleidet und die Bügelfalten der Polizeiuniformen scheinen gerade erst vom Bügeleisen bearbeitet worden zu sein. Cricket ist der Sport Nr. 1. Nur die sprichwörtliche Sauberkeit englischer Städte ist unterwegs wohl verloren gegangen.



Bild0085 Uniformen



Trinidad bildet in dreierlei Hinsicht eine Ausnahme. Die Zuckerrohrfelder liegen brach oder sind abgebrannt, nicht alle, aber deutlich mehr als auf den beiden anderen Inseln. Erdöl und Erdgas unter dem Meeresboden sind die neuen Einnahmequellen, auf die gesetzt wird. Dieser wirtschaftliche Aufschwung zeigt sich im regen Autoverkehr. Und es wird viel gebaut, sowohl Wohn- als auch Geschäftshäuser.

Im Süden Trinidads befindet sich der pitch lake, mit 44 ha der größte Asphaltsee der Erde. Bei den ersten Schritten sind wir noch sehr vorsichtig, als wir ihn bei einer Führung betreten.Schließlich wollen wir nicht wie in einem Moor versinken oder uns mit dem Bitumen beschmutzen. Wir werden mutiger, als in 500 m Entfernung zwei Radlader mit dem Abbau des Naturasphalts beginnen. Unser Führer Josef bemerkt dazu, dass regelmäßig Flächen von 100 qm bis zu 1,5 m tief „geerntet“ werden. In 3 - 4 Wochen hat sich das Loch wieder geschlossen. In einer Fabrik am Ufer wird er in Fässer gefüllt und in alle Welt versandt.



Bild 5280 Radlader oder 5269 Asphaltsee

Auf ein bisschen „Indien“ in der Karibik stoßen wir dann doch noch, u.z. auch auf Trinidad. Während der Anteil der Inder an der Bevölkerung in den anderen Gebieten unter 5 % liegt, sind es hier über 40 %, 500.000 Bewohner immerhin. Nach der Sklavenbefreiung fehlten Arbeitskräfte, sie wurden aus Indien geholt. Überwiegend im südlichen Teil der Insel haben sie ihre zweite Heimat gefunden und ihre traditionellen Lebens- und Glaubensgewohnheiten beibehalten. Auf der Rückfahrt unseres Ausflugs werden wir so am Strand der Karibik Zeuge einer indischen Feuerbestattung.